BMW lädt zur ersten Fahrt mit der brandneuen 3er-Reihe nach Barcelona. Jo Clahsen war für Classic Driver dabei und fragte: Ist der BMW 328i trotz akutem Zylindersterben noch immer die erste Wahl?
Können 12 Millionen User irren? Wohl kaum. Deshalb sagte Produktions-Vorstand Frank-Peter Arndt bei der Präsentation zutreffend, dass „kaum ein Modell so für BMW steht wie der Dreier.“ Und das seit 1975. Für echte Auto-Aficionados steht der 3er allerdings in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Motorisierung, die Kultstatus besitzt: dem Sechszylinder-Reihenmotor mit Benzinbefeuerung. Doch das Format wäre bei einer Neuvorstellung heutzutage kaum noch durchsetzbar, weil politisch unkorrekt. Deshalb wird der neue BMW 328i von einem mit Twin-Scroll-Turbo aufgeladenen Vierzylinder angetrieben.
Schon der Druck auf die Start-Taste dürfte jedem Besitzer des feinen Sechszylinders einen Schauer des Nicht-Erkennens über den Rücken treiben. Klar, es hätte via Sound-Engineering die Option bestanden, den Vier-Zylinder-Motor wie einen Sechszylinder klingen zu lassen. Aber das käme der von BMW auf die Fahne geschriebenen Freude am Fahren wohl nicht einmal im Ansatz nahe. Deshalb läuft auch beim Start kein großes Kopfkino ab, sondern eine Vorfreude, deren Schaum durch ein sirrendes Geräusch gebremst wird. Sound-Puristen würden diesen Klang eher einem hochgezüchteten Motorrad-Motor zuordnen, als einer veritablen Limousine mit vier ordentlichen Sitzplätzen.
Was dann nach dem Einlegen der Stufe D passiert, hängt von unterschiedlichen Kennlinien ab. War es in den letzten Jahren bei BMW üblich, dass drei „Erlebnisprogramme“ angeboten wurden, so ist seit Einführung des neuen Einser zu Comfort, Sport und Sport+ noch die politisch korrekte Version Eco Pro dazu gekommen. Im letztgenannten Modus schnürt der Benziner so brav los, wie ein Konfirmand im Fest-Ornat. Nicht unflott, aber gemächlich. Dazu schmust der Acht-Gang-Automat in Windeseile alle Stufen durch, so dass der Dreier im Halbschlaf vor sich hin surrt und selten einmal den Drehzahlmesser jenseits der 2.000er-Markierung besucht. Am Ende des Tages dürften dann im Display Verbrauchswerte um sieben Liter auftauchen. Realistische und nicht am theoretischen Normverbrauch orientierte sieben Liter.
Und wie inzwischen gewünscht, weil nachhaltig und umweltschonend, kann der neue Dreier in diesem Modus auch sehr gut und entspannt bewegt werden. Eingriffe in die Arbeit der Automatik sind absolut überflüssig, selbst wenn die optionalen Schaltwippen installiert sind. Wer dennoch eingreifen mag, etwa im Parforce-Ritt über winklige Landstraßen, der kann den Automatikhebel nach links ziehen und sich entweder am Schalthebel oder an den Wippen bedienen. Comfort ist indes die Einstellung, die zu 100 Prozent Familien- und Großeltern-kompatibel ist. Oder für die lange Reise in den Urlaub, wo den Insassen auch auf der Hinterbank ein gemütliches Interieur mit genügend Beinraum zur Verfügung steht. Einen Skisack werden sie dort hinten nicht mehr finden. Dafür lässt sich der mittlere Teil der Sitzbank jetzt komplett zum Kofferraum hin öffnen, sodass bis zu vier Paar Ski oder auch Snow-Boards ein schönes Zuhause finden.
Sport und Sport+ haben hingegen nichts an ihrer Bissigkeit verloren. Der intern F30 genannte 3er hat zwar optisch und tatsächlich zugelegt, beim Gewicht aber 45 Kilo abgeschwitzt und dazu einen Cw-Wert von 0,26. Das reicht im Sport-Modus für ein Gefühl, als wäre der 245 PS starke Motor frisch aus der Mucki-Bude gekommen. Kaum ist am Erlebnisschalter der Modus geändert, werden die Umdisponierungen im Fahrzeug, am Gaspedal und bei der Performance des ausgezeichneten Fahrwerks spürbar. Auch die Lenkung legt dann das Muscle-Shirt an. Bei der Präsentation nahe Barcelona konnte in diesem Aggregatzustand schon eine spritzige Tour durch die kurvenreichen Straßen realisiert werden. Kaum ein Wanken dank adaptivem, optionalem Fahrwerk, und eine absolut präzise Lenkung, die dem Blick des Piloten und der dadurch vorgegebenen Fahrtrichtung folgt, ohne auch nur ein Jota vom Kurs abzuweichen.
Hier kann – muss aber nicht – mit den Paddeln eingegriffen werden. Etwa vor der Kurve kurz runter schalten, Bremspunkt wählen, einlenken und mit viel Biss wieder aus der Kurve raus. Da ist der Dreier, wie viele seiner Brüder seit den Tagen des legendären 2002 tii, ganz und gar Athlet. Und wie bei Hochleistungssportlern üblich, geht dabei auch die Verbrennung in die Höhe. Wer 180 kW abruft, braucht halt bis zu 13 Liter.
Krönung des kraftvollen Einsatzes ist auch die höchste Stufe des Erlebnisschalters. Die Einstellung Sport+ ist quasi das Matterhorn der Performance. Aber Achtung: Das ist kein ich-kann’s-ja-mal-probieren-Schalter für Ungeübte – und er sollte tunlichst auch nicht allzu weit weg von Rennstrecken gezündet werden. Bestenfalls sogar in der Boxengasse einer Rennstrecke. Wie entfesselt der neue Dreier dabei losgehen kann, wird den meisten Hinterherfahrern erst bewusst, wenn sich die dicken Backen und die weiten Radhäuser zusehends entfernen. Fast analog fräst der 328i dann Gummispuren in den Asphalt, stellt sich willig quer, wenn er per Gaspedalstellung dazu animiert wird. Und schiebt genüsslich aber unspektakulär über die Vorderräder, bis der Pilot die Lenkung ein wenig öffnet, um den turbobeatmeten Motor wieder gen Begrenzer jenseits der 7.000/min zu treiben. Ergebnis auf dem Circuit de Catalunya: 30,5 Liter und ein durchgeschwitztes Shirt.
Kurzum: Kein eindeutiges Mitglied der Sportfamilie M von BMW, aber aufgrund der markigen Heckansicht und der gebotenen Leistungen sicherlich als kleiner M zu bezeichnen. Dass es dazu auch noch dreier „Linien“ bedarf, die sich Modern, Sport und Luxury nennen, ist sicher der Tatsache geschuldet, dass der neue 3er am 1. Februar 2012 in 132 Ländern eingeführt wird. Man kann ihn aber auch „nackt“ bestellen und sich dann an der Optionsliste gütlich tun. Dem Amerikaner mag ja das leicht barocke und mit Druck strukturierte Holz im Innenraum bei Modern gefallen, wie auch die Außenfarbe Havanna. Der Architekt, erfolgreiche Jurist oder Start-Upper mag den Luxury mögen, der Hand in Hand geht mit dem Eindruck, einen kleinen Fünfer zu fahren. Kenner der Baureihe und der Geschichte können nur auf Sport setzen. Alles andere wäre Blasphemie.
Alles? Mitte 2012 wird dann noch ein M-Paket komponiert werden. Inhalt des umfangreichen Extrasortiments ist unter anderem ein 335i. Das dürfte dann endgültig die letzte Gelegenheit sein, sich einen Reihensechszylinder aus dem Hause BMW zu ordern. Mit dem sattsam bekannten und satten Sound, mit mehr als 300 PS und mit dem unbedingt und zutiefst beruhigenden Gefühl, sich selbst einen großen Gefallen getan zu haben. Alle anderen 3er-Freunde können so lange gerne schon mal in Richtung Political Correctness aufbrechen. Wir Benzin-Junkies bleiben derweil einer der letzten Ikonen des Automobilbaus treu: dem Reihen-Sechszylinder. Ach ja, fast vergessen. Der neue 328i startet preislich bei 37.400 Euro, für den Sechser-Dreier sind schon jetzt mindestens 43.600 aufgerufen.
Quelle: classicdriver.com