Alles anzeigenDieser Mercedes-Benz CLS (siehe Link) ist wirklich ein verdammt schicker Gebrauchtwagen, wie er so dasteht im Schaufenster vom Autohaus Lupuspark in Schwarzenbek, eine halbe Stunde östlich von Hamburg. Tief silbern schimmert der Lack; innen ist das viertürige Coupé mit rotem Leder ausgeschlagen. Unter der Haube steckt ein 4,7-Liter-Achtzylinder mit 408 PS, der erst 17 500 Kilometer gelaufen ist. Die Ausstattung lässt keine Wünsche übrig: von der Klimaautomatik über die Rückfahrkamera bis zur Hi-Fi-Anlage – alles da. Das Preisschild verlangt nachgerade einmal 45.900 Euro. Für einen 15 Monate jungen Wagen. Das perfekte Schnäppchen.
Meint man. Aber leider … findet der stern eine ganz andere Geschichte heraus: Das traumschöne CLS Coupé ist nicht Schnäppchen, sondern – Beweis für eine hinterhältige neue Masche der deutschen Gebrauchtwagen-Branche.
Jeder Wagen besitzt eine Fahrgestellnummer – eine Art genetischen Fingerabdruck. Im Fall des silbernen CLS lautet sie: WDDLJ7DB2EA101949. Sein Baujahr, so zeigt die Überprüfung, datiert nicht auf 2014, sondern auf 2013. Der Wagen wurde im US-Bundesstaat Florida zugelassen. Zuvor war er vom Werk in Sindelfingen via Bremerhaven nach Brunswick in Georgia verschifft worden. Schon bald nach der Anmeldung, im Februar 2015, gibt es im Leben des silbernen Schlittens einen jähen Bruch: Unfall mit schweren Schäden an Front und Heck. Die Versicherung stuft das Auto als "Junk and Salvage" ein, als Totalschaden, der nicht mehr sicher auf der Straße bewegt werden kann. Weil die Reparaturkosten den Wert des Fahrzeugs übersteigen, gibt die Gesellschaft das Wrack zur Versteigerung frei: Der Mercedes soll nicht wieder zugelassen, sondern seine noch recht jungen Eingeweide sollen entnommen und der Rest soll verschrottet werden.
Doch die verbeulte Karosse mit der Nummer WDDLJ7DB2EA101949 endet nicht im Altmetall, sondern kommt wieder auf die Straße – nur eben nicht in den USA.
Denn dort ist der Lebenslauf eines Fahrzeugs weitgehend transparent. In der Regel werden Werkstattaufenthalte in einer virtuellen Fahrzeugakte dokumentiert. Zum Schutz der Verbraucher werden größere Schäden, zweifelhafte Laufleistungen und andere Verdachtsmomente für Manipulationen in Datenbanken gesammelt. Auch ob ein Auto zur Fahndung ausgeschrieben ist, wird vermerkt. Diese Informationen sind für Interessenten jederzeit im Internet abrufbar. Wer in Amerika einen passenden Gebrauchtwagen für seine Bedürfnisse ausgeguckt hat, wendet sich deshalb gern erst einmal an Carfax, Vincheck oder ein anderes Verbraucherportal. Man tippt die Fahrgestellnummer (Vehicle Identification Number, kurz Vin) in die Suchmaschine ein und erhält die wichtigen Informationen zu Kosten von wenigen Dollar.
Verkauf statt Schrottplatz
Hierzulande sieht es für den Verbraucher ganz und gar anders aus: nach undurchsichtigen Methoden in einem rechtlichen Graubereich. Denn der europäische Gebrauchtwagenhandel hat ein Geschäftsmodell etabliert, das mit dem US-Markt eng verwoben ist und üppige Gewinnmargen verspricht: Amerikanische Unfallwagen und Versicherungsschäden aus Naturkatastrophen wie Wirbelstürmen oder Überschwemmungen, die von den US-Versicherungen abgewickelt werden, gelangen auf die europäischen Märkte. "Wir wissen von sehr vielen Autos, die mit einem sogenannten Salvage Title in verschiedene europäische Länder importiert werden", sagt Erich Sturm vom Fachbereich Internationale Kfz-Verschiebung beim Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden. "Meistens sind das Litauen und Polen."
Salvage Title würde man mit "Stilllegung" übersetzen. Für Autos ist dieser Behördenakt in den USA meist der Todesstoß. Wenn Fahrzeuge quasi öffentlich als Fall für den Schrottplatz gebrandmarkt werden, sind sie im Inland so gut wie unverkäuflich. Bleiben sie dort, werden sie auf sogenannten Restwertbörsen von Verwertern aufgekauft, ausgeschlachtet, und der Rest wird im Hochofen verschmolzen.
Inzwischen aber ersteigern gerissene Händler so manches Wrack auf diesen Börsen. Es gibt sogar eigene Vermittler für die Schrottautos. Das Handelsportal Power Motors (pminc.de) beispielsweise wirbt auf seiner Homepage ganz offen und auf Deutsch damit, wie aus der zweifelhaften Importmethode ein gutes Geschäft wird: "Unfallfahrzeuge direkt in den USA zu kaufen", heißt es dort, sei durchschnittlich 30 bis 70 Prozent günstiger "als ein US-Gebrauchtfahrzeug".
Nicht nur Unfallwagen hält BKA-Mann Sturm für gefährlich, sondern beispielsweise auch Autos mit Flutschäden. "Wenn die Elektronik ausfällt, lehnt der Hersteller bei einem Salvage Title die Gewährleistung ab." Dann bekommt der Eigentümer den Schaden nicht ersetzt. Auch Christian Wittmann von Carfax Europe warnt vor Gebrauchtwagen, deren üble Geschichte ein Laie nicht erkennen kann. "Wir haben schon Autos gesehen, die waren in der Mitte auseinandergebrochen" , sagt er. Einen solchen Schaden kann man nicht einfach zusammenschweißen. Ein solcher Schaden kann Leben kosten.
Der silberne CLS erzielt nach stern-Informationen im Frühjahr 2015 auf einer Restwertebörse ein Auktionsergebnis von 18 100 Dollar und wird bald darauf verschifft. Von Savannah im Bundesstaat Georgia tritt Nummer WDDLJ7DB2EA101949 die Rückreise auf den europäischen Kontinent an. Die Frachtkosten liegen im Schnitt bei unter 1000 Dollar pro Auto. Die meisten Wagen landen in osteuropäischen Häfen an, im litauischen Klaipeda oder im polnischen Danzig. "Das sind die Hauptrouten" , sagt Erich Sturm vom BKA. "Einer der Hauptumschlagplätze für solche Autos ist die Stadt Kaunas in Litauen", sagt Christian Wittmann von Carfax Europe. Dort werden die Autos dann mehr oder weniger fachgerecht repariert – meistens weniger, denn je sorgfältiger die Instandsetzung vorgenommen wird, desto geringer fällt der Gewinn aus.
In einigen Fällen werden sogar die Airbags, die bei Unfällen ausgelöst wurden, nicht ersetzt, weil sie zu den teureren Ersatzteilen gehören. "Manchmal ist leider nur ein Dummy drin" , sagt Erich Sturm. Dann wurde ein elektrischer Widerstand eingebaut, der der Elektronik vorgaukelt, der Airbag sei funktionstüchtig. "Bei nicht ersetzten Airbags ist die kriminelle Energie des Verkäufers extrem hoch, denn dann nimmt er schwere Verletzungen der Insassen in Kauf", so Sturm... (siehe Link)