"Europa funktioniert nicht mal in Europa": Im Kampf um die Präsidentschaftskandidatur knöpfen sich die Republikaner Romney, Santorum und Co. den alten Kontinent vor - und dessen vermeintlichen Freund Obama. Dabei mischt auch der kräftig mit beim Brüssel-Bashing.
Mit Romney ist schier außer sich: "Präsident Obama will uns zu einer Nation der Leistungsempfänger machen", empört sich der Spitzenreiter im Kampf um die republikanische Präsidentschaftskandidatur. Nein, Amerika dürfe "nicht ein weiterer Staat Europas werden".
Das ist zwar im praktischen Sinne recht unwahrscheinlich, aber Romneys Warnung vor einem Wohlfahrtsstaat nach europäischem Vorbild zündet im Vorwahlkampf der Republikaner. Auch hier, im alten Neuengland-Staat New Hampshire, wo am Dienstag über die Kandidaten der Republikaner abgestimmt wird und wo Europas Einwanderer die Städte einst Manchester, Dublin oder Derry tauften, gehört Europa-Bashing zum Standardprogramm.
"Dann fahrt mal nach Griechenland"
"Zum Teufel", sagt Romney, "Europa funktioniert nicht mal in Europa." Die Abgrenzung von Deutschland, Frankreich und Co. war zwar noch in jedem Wahlkampf in den USA unverzichtbarer Bestandteil einer Kampagne. Doch jetzt gelten die Staaten Europas vielen Amerikanern seit Ausbruch der Euro-Krise zudem als Verlierer. "Ich glaube an Amerika. Ich glaube nicht an Europa", ruft Romney denn auch am Sonntagabend jubelnden Anhängern in einer High School von Exeter in New Hampshire zu.
"Ihr wollt das Amerika sehen, das Obama plant?", fragt der erzkonservative Kandidat Rick Santorum auf jeder seiner Veranstaltungen: "Dann fahrt mal nach Griechenland." Je nach aktueller Lage im europäischen Wirtschaftsraum werden weitere Krisenländer in diesen Spruch aufgenommen. Portugal, Italien, Irland. Zuletzt auch gern genannt: Frankreich.
Nehmt euch in Acht, unser Präsident ist ein verkappter Europäer! Das ist die Botschaft. Obama sei ein Sozialist, höhnt Newt Gingrich. Obama hole sich Rat bei Europas Sozialdemokraten, unkt Romney. Dabei mache das europäische Pro-Kopf-Einkommen nur die Hälfte des amerikanischen aus, behauptet er. Und für den Radikal-Liberalen Ron Paul ist Europa sowieso jenseits von Gut und Böse. Er will alle Truppen abziehen, damit das "sozialistische Deutschland" nicht weiter über US-Steuern finanziert wird.
Aber auch der Präsident selbst schlägt in die Anti-Europa-Kerbe. So lange die Euro-Krise nicht gelöst sei, "wird die Weltwirtschaft weiter schwächeln", lautet einer seiner Standardsätze. Wiederholt haben Obamas Leute insbesondere die deutsche Kanzlerin zu mutigerem Handeln aufgerufen. US-Finanzminister Timothy Geithner reiste bereits mehrfach in dieser Angelegenheit zu seinen Amtskollegen über den Atlantik.
Der Präsident ist unter Druck, weil Amerikas Wirtschaft dümpelt und die Arbeitslosenquote zwischen acht und neun Prozent pendelt. Da kann es durchaus entlastend wirken, einen Teil der Schuld den vermeintlich nicht handelnden Europäern zuzuschieben.
Kampf den europäischen Monarchen
Für die Republikaner aber steckt noch mehr dahinter. Sie inszenieren das Schattenboxen mit Europa als Kulturkampf. Weil die amerikanischen Eliten den europäischen nacheifern würden, kritisiert Gingrich, breiteten sich "antireligiöse Werte an den Universitäten, in den Medien und unter den Richtern in Amerika aus". Das säkulare Europa als Bedrohung des christlichen Amerika.
Romney seinerseits, dem der Ruf des Moderaten und Wendehalses anhängt, betont neuerdings seine Vorliebe für patriotische Lieder. Keine Veranstaltung in New Hampshire, auf der er nicht ein paar Verse aus "America the Beautiful", der inoffiziellen US-Hymne, vorträgt. "Ich liebe diesen Song", sagt er dann stets. Und kommt natürlich flugs auf diesen anderen Kontinent zu sprechen: "Der Präsident will unser Land fundamental verändern. Aber ich will nicht, dass wir wie Europa werden."
Santorum mag es auf seinen Kundgebungen ein bisschen historischer, setzt den europäischen Wohlfahrtsstaat mit der absolutistischen Herrschaft von Monarchen gleich. Die Gründer Amerikas hätten Europa verlassen, weil sie sich nicht von Königen regieren lassen wollten: "Ich glaube nicht daran, dass Ressourcen von oben nach unten verteilt werden sollten", schließlich seien alle Menschen gleich.
Das klingt aus europäischer Sicht absurd. Und das Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Modell funktioniert in der durch massive soziale Ungerechtigkeiten geprägten amerikanischen Wirtschaftswelt längst nicht mehr. Aber hinter all dieser Wahlkampfpolemik und Überzeichnung steckt eine amerikanische Wahrheit: die USA als Versprechen der individuellen Freiheit. So hat das Land über die vergangenen zwei Jahrhunderte Millionen Europäer angezogen. Und in den Anfangsjahren war längst nicht klar, dass sich die junge Republik behaupten würde.
So gelang es englischen Truppen noch 1814, Weißes Haus und Kapitol während des britisch-amerikanischen Kriegs niederzubrennen. Knapp zehn Jahre später verbaten sich die USA per Monroe-Doktrin jegliche Einmischung der Europäer in der westlichen Hemisphäre. Gleichzeitig wollten sie mit den Auseinandersetzungen der europäischen Monarchien nichts zu tun haben. Dahinter stand stets auch die Sorge, die Konflikte in Übersee könnten auf die aus Europa stammende Bevölkerung der USA durchschlagen. Präsident Woodrow Wilson zögerte lange, bevor Amerika 1917 in den Ersten Weltkrieg eintrat.
"Kandidat der Franzosen"
Heißt: Der Abwehrreflex in Sachen Europa hat eine lange Tradition. In Wahlkämpfen kocht er stets hoch - mal mehr, mal weniger. Besonders heftig ging es 2004 im Duell George W. Bush gegen den später unterlegenen John Kerry zur Sache. Bush hatte das Land unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in den Irak-Krieg getrieben, zerrüttet war das Verhältnis mit Europa, besonders mit Frankreich und Deutschland. Der fließend Französisch sprechende Kriegsgegner Kerry wurde von Bushs Leuten als "Kandidat der Franzosen" verspottet.
Kerrys Wahlkampfteam nahm das sehr wohl ernst: Einem französischen Cousin des Präsidentschaftskandidaten wurde geraten, nicht mit der Presse zu sprechen, um keine Angriffsfläche zu bieten. Kerry selbst suchte sich abzugrenzen, wo er nur konnte. Sogar beim Wasser. Das französische Evian sei mit Mineralien "vollgestopft", stellte er fest. Er bevorzuge amerikanisches Wasser. Natürlich.
Das Gespenst Europa ist stets präsent. Über Rick Santorum geistert am Wochenende kurzzeitig das Gerücht, er sehe Polen als eine der größten Gefahren für die USA an. Oha! "Ich liebe Polen", stellt der Katholik auf Nachfrage klar: "Das ist eines meiner Lieblingsländer." Na also. Danke, Polen.
Quelle: spiegel.de